Covid-Impfstoffe: Das Patent-Tabu in Europa
Die Verzögerungen bei der Verteilung von Impfstoffen in der EU könnten durch freiwillige Kooperationen der Pharmariesen gelöst werden. Die Zivilgesellschaft und mehrere EU-Länder fordern allerdings die Liberalisierung von Patenten, um unabhängig Dosen produzieren zu können und die Impfstoffabdeckung für eine größtmögliche Anzahl von Menschen zu gewährleisten. Der zweite Teil des Berichts von Stefano Valentino über die monopolistischen Praktiken der Pharmaunternehmen.
Covid-Impfstoffe: Das Patent-Tabu in Europa
Die Verzögerungen bei der Verteilung von Impfstoffen in der EU könnten durch freiwillige Kooperationen der Pharmariesen gelöst werden. Die Zivilgesellschaft und mehrere EU-Länder fordern allerdings die Liberalisierung von Patenten, um unabhängig Dosen produzieren zu können und die Impfstoffabdeckung für eine größtmögliche Anzahl von Menschen zu gewährleisten. Der zweite Teil des Berichts von Stefano Valentino über die monopolistischen Praktiken der Pharmaunternehmen.
Trotz der mehrfachen Lieferungs-Verzögerungen der mit der EU vereinbarten Impfstoffe durch AstraZeneca bedauert von der Leyen nicht, dass der mit dem anglo-schwedischen Unternehmen geschlossene Vertrag diesem die exklusiven Rechte am geistigen Eigentum des Impfstoffs einräumt. Das bedeutet, dass die Firma die Macht hat, anderen zu verbieten, die Mengen zu produzieren, die sie selbst nicht liefern kann.
„Die Verzögerung bei der Lieferung von Impfstoffen hat nichts mit geistigem Eigentum zu tun, sondern mit unzureichenden Produktionskapazitäten, die insbesondere die Umsetzung der von der EU abgeschlossenen Kaufverträge beeinträchtigen“, erklärt Miriam Garcìa Ferrer, Sprecherin der Europäischen Kommission für Handelsfragen: „Wir sind mit dem Vorschlag von Ngozi Okonjo-Iweala (der neuen Generaldirektorin der Welthandelsorganisation) einverstanden. Ihr zufolge sollte die freiwillige Zusammenarbeit zwischen Unternehmen erleichtert werden, um alle Produktionskapazitäten zu nutzen, auch in Entwicklungsländern.“ Eine Initiative zur Liberalisierung der Produktion von Medikamenten gegen das Coronavirus für die Dauer der Pandemie wurde im vergangenen Oktober von Indien und Südafrika bei der WTO gestartet. Die beiden Länder haben ganz ausdrücklich die Aussetzung bestimmter Passagen des Internationalen Vertrags zum Schutz des geistigen Eigentums (TRIPS, ein im Rahmen der WTO unterzeichnetes Abkommen) vorgeschlagen.
Delegierte der Generaldirektion Handel der Europäischen Kommission bei der WTO lehnen den Vorschlag jedoch weiterhin im Namen der EU 27 ab. Dagegen wird die Initiative von fast 80 einkommensschwachen Ländern unterstützt. Sie sehen in ihr die einzige Möglichkeit, schnell eine ausreichende Anzahl von Dosen zu garantieren. Bei der März-Sitzung des TRIPS-Rates, wo Entscheidungen einen Konsens erfordern, wurde die Diskussion wegen der Blockierung der reichen Länder erneut vertagt (auf April oder Juni). Zu den Gegnern gehören auch die USA, Kanada, das Vereinigte Königreich, die Schweiz, Australien und Japan, mit anderen Worten: Hochburgen der Pharmalobby, die Dosen der vielversprechendsten Impfstoffe horten und rund die Hälfte davon im Voraus kaufen, obwohl sie laut Unicef weniger als 25 Prozent der Weltbevölkerung repräsentieren.
Die von der Kommission vertretene Position gegen die WTO wird von allen Mitgliedstaaten geteilt, die sie zuvor hinter verschlossenen Türen durch ihre technischen Delegierten im Ausschuss für Handelspolitik des Rates diskutiert und unterstützt haben. Dies geht eindeutig aus den Protokollen der Sitzungen von Januar bis Februar hervor, welche sich die Nichtregierungsorganisation Corporate Observatory Europe erworben hat.
Produktion in den Händen weniger
Die Arbeitsgruppe der Kommission für die industrielle Entwicklung von Covid-Impfstoffen unter der Leitung von Kommissar Thierry Breton hat es sich zur Aufgabe gemacht, firmenübergreifende Vereinbarungen innerhalb der EU zu fördern, ohne die Frage der Patente zu berühren. In der Tat vergeben die großen Pharmakonzerne verschiedene Stufen ihrer Produktion an andere Subunternehmen, die über den ganzen alten Kontinent verstreut sind. Diese haben jedoch keine Lizenz, um den Impfstoff eigenständig herzustellen und zu vertreiben: Sie bleibt in den Händen der Patentinhaber.
Stattdessen wurden echte Lizenzen an Nicht-EU-Hersteller vergeben: AstraZeneca hat sie an Unternehmer in Indien, Brasilien, Japan, Südkorea, China, Australien, Spanien, Mexiko und Argentinien vergeben, mit der Verpflichtung, nur in begrenzten geografischen Gebieten zu verkaufen. Das bedeutet, dass sie den lukrativeren europäischen Markt nicht beliefern dürfen, wo der multinationale Konzern die Exklusivität behält. Kurz gesagt: Es sind immer die gleichen Giganten, welche die Versorgung kontrollieren.
„Überall gibt es reichlich ungenutzte Produktionskapazitäten, aber wir hängen an ein paar Fabriken, die nie in der Lage sein werden, alles zu liefern, was gebraucht wird“, meint Massimo Florio, Professor für Nationalökonomie an der Universität Mailand. „Es macht keinen Sinn, dass Pharmakonzerne exklusive Produktionsrechte haben. Sie könnten genauso gut durch Lizenzgebühren entlohnt werden, die sie durch Lizenzen an Dritte erhalten.“ Laut einem Bericht des Tony Blair Institute for Global Change wird nur ein kleiner Teil der weltweiten Produktionskapazität von 16,7 Millionen Litern für Impfstoffe, Therapeutika, Antikörper und Virostatika für Covid-19 verwendet.
„Es ist zwingend notwendig, Patente und Technologien außerhalb der engen, von den Pharmariesen geführten Partnerschaften zu teilen, sonst kann man die Produktion nicht genug ausweiten, um die globale Nachfrage zu decken, auch nicht in den weniger wohlhabenden Regionen“, protestiert Sara Albiani, Beraterin der Nichtregierungsorganisation Oxfam.
https://voxeurop.eu/en/covid-vaccines-the-patent-taboo-in-europe/
Quelle/n:
Übersetzung von:
J. Heimann | Voxeurop