Wo steht Europa zu den LGBTI-Rechten?
Laut einer im Mai 2019 veröffentlichten Analyse des Pew Research Centre haben 33 von 49 Ländern in Europa die gleichgeschlechtliche Ehe gesetzlich nicht erlaubt, wenngleich der Juni 2019 als Monat des Stolzes (Pride Month) gefeiert wird.
Wo steht Europa zu den LGBTI-Rechten?
Laut einer im Mai 2019 veröffentlichten Analyse des Pew Research Centre haben 33 von 49 Ländern in Europa die gleichgeschlechtliche Ehe gesetzlich nicht erlaubt, wenngleich der Juni 2019 als Monat des Stolzes (Pride Month) gefeiert wird.
Von diesen 49 Ländern erlauben 11 eine Art gleichgeschlechtlicher Verbindungen oder Lebenspartnerschaften, und nur 16 dieser Länder haben gleichgeschlechtliche Ehen legalisiert.
Vor mehr als 18 Jahren waren die Niederlande das erste Land der Welt, das gleichgeschlechtliche Ehen erlaubte. Österreich wurde als jüngstes Mitglied in diesen Kreis aufgenommen, als es im Januar 2019 sein Ehegesetz änderte, und seither homosexuelle Ehen erlaubt.
„Im vergangenen Jahr stellte der Fall Coman ein zentrales Urteil der EMRK (Europäischen Menschenrechtskonvention) dar, zumal es darum ging, dass gleichgeschlechtliche Paare das volle EU-Recht der Freizügigkeit genießen sollen, und somit die gleichgeschlechtliche Ehe EU-weit anerkannt werden sollte“, erklärt Niamh Cullen, Kommunikationsbeauftragter von ILGA-Europe (Europäischer Zweig des International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans- and Intersex Vereins).
Der Fall Coman ist auf Adrian Coman (rumänischer Staatsbürger) und Clai Hamilton (US-Bürger) zurückzuführen. Clai war es nicht gelungen, eine Aufenthaltserlaubnis in Rumänien zu beantragen, da die Behörden im Ausland geschlossene Ehen zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern nicht anerkennen. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in einem Urteil festgestellt, dass die Definition des Begriffs „Ehepartner“ im EU- Freizügigkeits-Recht auch gleichgeschlechtliche Paare umfasst.
„Die nächste Aufgabe für die Mitgliedstaaten ist die Umsetzung dieses Gesetzes, um sicherzustellen, dass es in der gesamten EU anerkannt wird, und dass es von nun an verpflichtend ist. Dieser bedeutende Fortschritt wird zweifellos auch jenseits der EU Auswirkungen haben, und ein starkes Beispiel für Europa und darüber hinaus sein“, fügt Cullen hinzu.
Der Westen ist homosexuellen-freundlicher als der Osten
Laut einer Studie des Pew Research Centre vom Oktober 2018 unterscheiden sich die Menschen in Ost- und Westeuropa in vielen wichtigen sozialen Fragen, darunter die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehen. Die meisten Mittel- und Osteuropäer sind gegen eine gleichgeschlechtliche Ehe, während die meisten Westeuropäer dafür sind. Für die Studie wurden zwischen 2015 und 2017 mehrere Interviews mit fast 56.000 Erwachsenen (ab 18 Jahren) in 34 west-, mittel- und osteuropäischen Ländern geführt.
Die Mehrheit der Erwachsenen in allen 15 westeuropäischen Ländern, die 2017 vom Pew Research Centre befragt wurden, unterstützen die gleichgeschlechtliche Ehe, darunter etwa sechs von zehn Italienern und drei Viertel der Schweizer Erwachsenen. Noch höher ist die Unterstützung in Schweden (88 Prozent), Dänemark (86 Prozent) und den Niederlanden (86 Prozent).
Im Gegensatz dazu sind die Menschen in Mittel- und Osteuropa weitgehend gegen diese Praxis. Nur fünf Prozent der Russen und neun Prozent der Ukrainer äußern zum Beispiel, dass sie eine gleichgeschlechtliche Ehe zulassen würden. In Polen (32 Prozent) und Ungarn (27 Prozent) sind die Zahlen höher, obgleich die Polen und Ungarn, die sich für eine gleichgeschlechtliche Ehe aussprechen, in der Minderheit sind. Die Tschechische Republik ist das einzige von 19 untersuchten Ländern in Mittel- und Osteuropa, in dem die Mehrheit der Erwachsenen (65 Prozent) die Homo-Ehe unterstützt.
„Die Probleme bezüglich des gesetzlichen Schutzes von LGBTI-Personen gehen im Allgemeinen über ein Ost-West-Gefälle hinaus, obwohl es in Osteuropa in der Tat besondere Problembereiche gibt“, fügte Cullen hinzu: „Die Rückschläge in der gesamten Region sind zahlreich: Serbien und das Kosovo haben ihre Aktionspläne für Gleichstellung nicht erneuert. Bulgarien, Ungarn und die Türkei sind Länder, die in der Rangliste zurückfallen, weil ihre Regierungen im vergangenen Jahr die grundlegenden bürgerlichen und politischen Rechte wie Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit und Schutz von Menschenrechtsaktivisten nicht eingehalten haben. Auch hier geht es vor allem um den Mangel an gesetzlichem Schutz, ohne den es eine Entwicklungslücke für die LGBTI-Gleichstellung gibt, und damit auch für die soziale Akzeptanz.“
Ebenso dürfen gleichgeschlechtliche Paare in keinem Land Mittel- und Osteuropas – und nicht einmal in der Tschechischen Republik –legal heiraten. Allerdings erlauben die Tschechische Republik sowie Kroatien, Estland, Ungarn und mehrere andere Länder der Region zivilrechtliche Partnerschaften. Griechenland schloss sich dieser Liste Ende 2015 an, als es sich bereit erklärte, trotz des Widerstands der griechisch-orthodoxen Kirche mit der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften zu beginnen.
Länder mit legalisierter gleichgeschlechtlicher Ehe haben bessere „Regenbogen“-Rankings
Bei den LGBTI-Rechten geht es nicht nur um die Legalisierung gleichgeschlechtlicher Ehen. Wie Micah Grzywnowicz, Mitvorsitzende/r des Exekutivbüros von ILGA-Europe, uns erklärt: „Seit Jahren sagen wir, dass die eheliche Gleichberechtigung ein wichtiges Kriterium für Gleichheit ist, aber nicht das A und O für LGBTI-Personen. Was für unsere Gemeinschaft auch entscheidend ist: Wirksame Gesetze zur Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts von Trans-Personen, ein solider Schutz vor LGBTI-feindlicher Gewalt und Sprache, der gleichberechtigte Zugang zu Fortpflanzungsrechten und das Verbot medizinischer Eingriffe bei intersexuellen Kindern.“
Rainbow Europe wurde von der ILGA-Europe entwickelt und von der Europäischen Union gefördert und klassiert die Länder in Europa. Die Grundlage bilden ein rechtlicher Index zur LGBTI-Gleichstellung und ein Überblick über das soziale Klima. Jedes Jahr gibt es einen Bericht für die LGBTI-Bevölkerung in jedem Land.
49 Länder Europas wurden unter die Lupe genommen und mithilfe einer Skala zwischen 0 Prozent (schwere Menschenrechtsverletzungen, Diskriminierung) und 100 Prozent (Achtung der Menschenrechte, volle Gleichstellung) bewertet. Gesetze und Richtlinien, die sich direkt auf die LGBTI-Gemeinschaft auswirken, werden in sechs Kategorien eingeteilt: Familie, Hassverbrechen und Hassreden, rechtliche Geschlechtsanerkennung und körperliche Integrität, zivilgesellschaftlicher Raum und Asyl.
Laut des neuesten Rainbow Europe-Rankings ist Malta das beste Land für eine Person, die der LGBTI-Gemeinschaft angehört. Malta weist einen Index von 90,35 Prozent auf und ist das einzige Land mit einer Bewertung von über 75 Prozent. Andererseits ist Aserbaidschan mit einem Rating von nur 3,33 Prozent das am schlechtesten abschneidende Land.
Die skandinavischen Länder und Finnland sowie Portugal, Frankreich, das Vereinigte Königreich, Spanien, Belgien und Luxemburg sind Länder mit einem Rating von mehr als 50 Prozent. Auf der anderen Seite haben viele der osteuropäischen Länder wie Russland, Polen und Bulgarien ein Rating von weniger als 20 Prozent. Die Türkei, Armenien und Aserbaidschan erreichten weniger als 10 Prozent.
Die Bewertung von ILGA-Europe für Gesamteuropa beträgt 38 Prozent und für die Europäische Union (EU) 48 Prozent.
„Sowohl unser Jahresbericht als auch die Karte von Rainbow Europe zeigen eine Mischung aus Erfolgen und Herausforderungen im Hinblick auf die rechtliche und soziale Situation der LGBTI-Gemeinschaft. Umfangreiche wissenschaftliche und gemeinschaftsbasierte Untersuchungen zeigen, dass LGBTI-Personen unter anderem beim Zugang zu Sozialschutz, Gesundheitsversorgung und -dienstleistungen, Bildung, Wohnen, Waren und Diensten diskriminiert werden. Die Gesetzgebung ist eine wichtige Voraussetzung, um einer solchen Diskriminierung entgegenzuwirken“, meint Cullen.
Die Diskriminierung der LGBTI-Gemeinschaft ist laut der jüngsten Umfrage der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) nach wie vor sehr offensichtlich. „Die jüngste LGBT-Umfrage ergab, dass sich 20 Prozent der befragten LGBT-Personen von mehr als 90.000 Befragten in ganz Europa bei der Arbeitssuche oder am Arbeitsplatz diskriminiert fühlen. Mehr als vier Fünftel aller Befragten gaben an, dass beiläufige Witze über LGBT-Menschen im Alltag weit verbreitet seien, und fast die Hälfte aller Befragten glaubte, dass beleidigende Worte über LGBT-Menschen von Politikern in ihrem Heimatland weit verbreitet seien“, erzählt Cullen.
„Was die Gesetzgebung zu Hassreden, Hassverbrechen und Gleichheit und Nichtdiskriminierung betrifft, so gibt es in ganz Europa ein Flickwerk von Schutzmaßnahmen, die angegangen werden müssen, um eine größere Gleichstellung von LGBTI-Personen zu erreichen“, antwortete Cullen auf die Frage, welche Art von Lösungen benötigt werden, um die Integration der LGBTI-Gemeinschaft zu verbessern.
„Die Rainbow-Karte zeigt deutlich, wo die Lücken am größten sind. Beispielsweise gibt es in den meisten europäischen Ländern nahezu keine Gesetze zur Gleichstellung und Nichtdiskriminierung aufgrund von Geschlechtsmerkmalen, sowie zur Depathologisierung oder zum Schutz von Intersexuellen in allen Bereichen.“
https://voxeurop.eu/en/2019/lgbti-5123393