Was die Rumänen auf die Straße treibt
Am 10. August versammelten sich mehr als 100.000 Bürger in Bukarest, um gegen die ausufernde Korruption zu protestieren, welche die von den Sozialdemokraten geführte Regierung lähmt, und Tausende gebildete junge Menschen auf der Suche nach besseren Möglichkeiten aus dem Land fliehen lässt.
Was die Rumänen auf die Straße treibt
Am 10. August versammelten sich mehr als 100.000 Bürger in Bukarest, um gegen die ausufernde Korruption zu protestieren, welche die von den Sozialdemokraten geführte Regierung lähmt, und Tausende gebildete junge Menschen auf der Suche nach besseren Möglichkeiten aus dem Land fliehen lässt.
Über die Demonstrationen der Rumänen gegen ihre Regierung berichteten internationale Nachrichten in diesem Jahr mehr als einmal. Allerdings war keine so aufsehenerregend wie jene, die für den 10. August geplant war. Zum so genannten „Diaspora-Treffen“ versammelten sich mehr als 100.000 Menschen aus dem ganzen Land , sowie über seine Grenzen hinaus. Sie alle verfolgten ein einziges gemeinsames Ziel: Die gegenwärtige, korrupte politische Elite herauszufordern und durch eine echte Demokratie zu ersetzen.
Den Gipfel des Ereignisses bildeten Hunderte von Opfern. Tiefgreifende Veränderungen im politischen Bereich wurden jedoch nicht beschlossen. Das ist keine Überraschung, denn auch die vorangegangenen Proteste hatten keine Wirkung erreicht. Man sollte sich demnach fragen: Wozu all diese Mühe? Ein Überblick über die Entwicklung des Protests und das Profil jener, die daran teilgenommen haben, kann einige Antworten liefern.
Am Anfang war Facebook
Die ersten Gerüchte über den Protest tauchten zwei Monate zuvor auf. Ein Facebook-Event und die spirituellen Anführer der regierungskritischen Bevölkerung Rumäniens halfen dabei, die Nachricht zu verbreiten.
„Ich lebte 12 Jahre lang in den USA und hatte die Möglichkeit, die Lehrveranstaltungen der Stanford University und der Harvard University zu besuchen. […] Ich sehnte mich die ganze Zeit danach, nach Hause zurückzukehren. Vor zwei Jahren habe ich meine Sinne gesammelt und bin mit meiner Familie nach Hause zurückgekehrt. […] Nun fragen die Leute mich, ob ich nach Hause zurückgekehrt sei, um den letzten Gang des Landes zu gehen. ‚Nein‘ sage ich ihnen, ‚ich bin zurückgekommen, um den Weg in die andere Richtung zu erhellen. Folgt mir am 10. August, um den Weg für unser Land zu ebnen‘.“
Diese Worte, die von Sebastian Burduja aus einem Live-Stream auf Facebook stammen, ließen Zehntausende von Rumänen zum vereinbarten Termin nach Bukarest kommen. Aber je populärer die Veranstaltung wurde, desto härter verurteilten korrupte Würdenträger der Medien die rumänischen Auswanderer.
Die regierende Sozialdemokratische Partei versus Diaspora
Die Regierungspartei Partidul Social Democrat (PSD) arbeitete hart daran, den Ruf der Teilnehmer des Protests zu verunglimpfen und bezeichneten sie mit abscheulichen Adjektiven. Der PSD kommt es sehr zugute, sie zu verleumden, schließlich geben viele Auswanderer der von der PSD angeführten Regierung die Schuld an den Systemfehlern. Außerdem war es sicherlich nicht das erste Mal, dass die Diaspora das Schicksal Rumäniens beeinflusste. Sie hatte auch entscheidenden Einfluss auf die Präsidentschaftswahlen 2014, als der Gegner der PSD, der politisch rechts stehende Klaus Iohannis, mit überwältigenden 54,43 Prozent der Stimmen gewann.
Die PSD hat noch viel mehr Gründe, den Einfluss der Diaspora zu unterdrücken. An erster Stelle steht ihre Größe. Nicht weniger als sieben Millionen in Rumänien geborene Bürger leben außerhalb der Landesgrenzen. Die Hälfte von ihnen (3,4 Millionen) hat das Land nach Rumäniens Beitritt zur Europäischen Union im Jahr 2007 verlassen, und bildet die rumänische Migrantengemeinschaft. Sie repräsentieren 17 Prozent der Gesamtbevölkerung Rumäniens: Junge, unabhängige und arbeitsame 17 Prozent.
An zweiter Stelle stehen die Herkunft und die Ausbildung dieser Menschen. Während diejenigen, die das Land vor 2007 verließen, eher unqualifizierte Arbeiter waren, verlassen heutzutage viele Studenten, erfahrene Arbeiter, qualifizierte Fachkräfte und sogar Ärzte das Land, um bessere Möglichkeiten im Ausland zu suchen. Allerdings ist die Karriere nicht der Hauptantrieb für die Auswanderer.
Die Familie ist es dagegen. Die niedrigen Löhne, hohen Steuern und der unzureichende Lebensstandard veranlassen viele Eltern, ein besseres Leben für ihre Kinder im Ausland zu suchen. Einige von ihnen finden es am besten, ihre Kleinen bei ihren Großeltern zu lassen. Andere schaffen es, sich gleich mit ihren Familien im Ausland niederzulassen. Auf jeden Fall: Die Kinder der Rumänen müssen leiden, weil die Regierung keine sinnvollen Änderungen am System vornimmt. Und das trifft ihren Nerv. Folglich hat Rumänien in den letzten Jahren eine ungewöhnlich hohe Anzahl von Protesten erlebt. Die Bevölkerung ist ständig auf der Suche nach einer Veränderung. Aber manchmal muss man eben einen Schritt zurücktreten, um voranzukommen.
Die Gendarmerie: Eine Waffe gegen das Volk
Nach außen hin war das Einzige, was die Demonstranten am 10. August erreicht haben: Drohungen, ungerechtfertigte Wut und körperliche Misshandlung. Zahlreiche Zeugenaussagen und Videoaufnahmen zeigten, dass die Gendarmerie ein beispielloses Ausmaß an Gewalt an den Tag legte, nachdem eine Gruppe von Hooligans versucht hatte, sich den Protest anzueignen. Die Auseinandersetzungen forderten viele unschuldige Opfern, zumal die deutliche Mehrheit der Teilnehmer – darunter Familien, Studenten und auch ältere Menschen – nichts mit den gewalttätigen Gruppen zu tun hatten, aber von der Polizei dennoch mit großer Feindseligkeit behandelt wurden. Später stellte sich heraus, dass das Wachpersonal vom PSD-geführten Verteidigungsministerium den Befehl erhalten hatten, genau so zu handeln.
Der Protest vom 10. August und der anschließende Skandal im Zusammenhang mit den Aktionen der Gendarmerie brachten keine Veränderung über Nacht, sondern teilten das Land noch weiter, und verstärkten die Spannungen innerhalb und außerhalb der Landesgrenzen.
Hat es zumindest die Demonstranten ihrem Ziel näher gebracht? Es ist unwahrscheinlich, dass der Einfluss der PSD auf die Bevölkerung unerschüttert blieb, da bestimmte Gruppenmitglieder für Hunderte unschuldige Opfer verantwortlich sein könnten. Und während die Menschen des Landes nur noch mehr entzweit wurden, mobilisierte der Protest mehr als 100.000 Personen für ein gemeinsames Ziel. Die Antwort lautet also: ‚ja‘. Während ihr Ziel für einen Moment weiter als je zuvor, und die Regierung unkontrollierbar schien, zeigte der 10. August ein anderes Gesicht der PSD. Die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr könnten die genauen Folgen des Ganzen offenbaren.