In den Gefängnissen auf dem Balkan gibt es nur wenige Selbstmorde – warum ist das so?
Die Selbstmordrate in den Gefängnissen des Balkans ist im Vergleich zum übrigen Europa sehr niedrig, was zum Teil auf die unterschiedliche Zusammensetzung der Gefängnispopulation zurückzuführen ist.
In den Gefängnissen auf dem Balkan gibt es nur wenige Selbstmorde – warum ist das so?
Die Selbstmordrate in den Gefängnissen des Balkans ist im Vergleich zum übrigen Europa sehr niedrig, was zum Teil auf die unterschiedliche Zusammensetzung der Gefängnispopulation zurückzuführen ist.
In den Ländern Südosteuropas liegt die Selbstmordrate in den Gefängnissen weit unter dem europäischen Durchschnitt. Betrachtet man die Jahre 2011 bis 2015 , so wurden auf dem Balkan pro 100.000 Häftlingen durchschnittlich 53 Selbstmordfälle im Jahr verzeichnet, während im übrigen Europa der Durchschnitt bei 87 Fällen liegt. Die Daten werden jährlich vom Europarat gesammelt und nach einer sorgfältigen Prüfung veröffentlicht, so dass sie allgemein als zuverlässig gelten. Die Daten für Bosnien-Herzegowina und Kosovo liegen derzeit nicht vor.
Zudem gibt es in Südosteuropa eine weitere Besonderheit: Die Selbstmordrate in den Gefängnissen unterscheidet sich nicht gravierend von der Quote in der allgemeinen Bevölkerung. Häftlinge sind hier etwa fünfmal häufiger selbstmordgefährdet als ihre freien Landsleute. In anderen europäischen Ländern wie Frankreich, Belgien oder Norwegen ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Gefangener Selbstmord begeht, viel höher: zehnmal so hoch wie bei einem freien Bürger. Müssen wir daher zu dem Schluss kommen, dass die Behandlung der Gefangenen in den Gefängnissen des Balkans besser ist als im übrigen Europa?
Eine solche Schlussfolgerung ist mit Vorsicht zu betrachten, denn die Unterschiede lassen sich zumindest teilweise mit der überaus vielfältigen Zusammensetzung der Gefängnispopulation erklären. Verschiedene Untersuchungen haben in der Tat erhebliche Zusammenhänge zwischen dem allgemeinen Profil der Häftlinge und der Selbstmordrate ergeben: Gegen die eigene Person gerichtete Gewalt ist tendenziell häufiger in Gefängnissystemen zu finden, in denen die Anzahl der Inhaftierten relativ gering ist. In Fällen, in denen Inhaftierte im Gefängnis sitzen, weil sie keine Möglichkeit zu einer alternativen Strafe haben, ist die Rate wiederum höher: Solche Menschen haben oft ernste psychische Problemen oder sind sozial ausgegrenzt und somit in besonderem Maße gefährdet. Darüber hinaus kommen Selbstmorde in jenen Gefängnissen häufiger vor , in denen oft Untersuchungshaft angeordnet wird. Es wurde festgestellt, dass diejenigen Personen am stärksten gefährdet sind, die erst vor Kurzem verhaftet wurden oder auf ein Gerichtsverfahren warten.
Die Inhaftierungsrate in den Balkanländern ist recht hoch, aber der Anteil an psychisch kranken oder sozial benachteiligten Menschen ist gering. Zugleich wird selten Untersuchungshaft angeordnet. Die Kombination dieser beiden Faktoren ist ausschlaggebend dafür, dass Inhaftierte auf dem Balkan weniger selbstmordgefährdet sind als diejenigen im übrigen Europa.
Trotz dieses insgesamt positiven Bildes für die Region gibt es von Land zu Land deutliche Unterschiede. Beispielsweise ist die Selbstmordrate in Kroatien sehr niedrig (19 Fälle im Jahr pro 100.000 Häftlinge, genauso hoch wie die Anzahl der Selbstmordfälle in der freien Bevölkerung), während sie im benachbarten Slowenien mindestens fünfmal höher ist.