Europas Ärztemangel
Wellen von Pensionierungen, mangelnde Ausbildung neuer Mediziner, Abwanderung von Ärzten in Länder mit günstigeren Arbeitsbedingungen… Bis 2020 werden in Europa vermutlich 230.000 Ärzte fehlen.
Europas Ärztemangel
Wellen von Pensionierungen, mangelnde Ausbildung neuer Mediziner, Abwanderung von Ärzten in Länder mit günstigeren Arbeitsbedingungen… Bis 2020 werden in Europa vermutlich 230.000 Ärzte fehlen.
Innerhalb von zwanzig Jahren hat das rumänische Gesundheitswesen 5000 Ärzte verloren , d. h. fast 10 Prozent der praktizierenden Ärzte. Zudem könnte es in den nächsten fünfzehn Jahren 12.000 Therapeuten einbüßen. In Frankreich gibt es 9,1 Prozent weniger Allgemeinmediziner als vor zehn Jahren. Unterdessen droht Italien bis 2028 ein Verlust von 34.000 Ärzten . Ähnlich sieht es in allen anderen Mitgliedstaaten aus. Und das ist nicht wirklich neu. Bereits 2012 schätzte die Europäische Kommission, dass Europa bis 2020 eine Einbuße von 230.000 Ärzten droht. In diesem Fall würden 13,5 Prozent des Gesundheits-Bedarfs der Europäer nicht gedeckt werden können.
Frankreich hat kürzlich angekündigt, dass 400 angestellte Arztpositionen und 4000 Arzthelferstellen geschaffen werden sollen. Rumänien beabsichtigt, die Zahl der Assistenzarzt-Stellen zu erhöhen. Es ist jedoch unsicher, ob diese Maßnahmen ausreichen, zumal diese Defizite weitgehend strukturell bedingt sind.
Ungleichmäßige geographische Verteilung der Ärzte
Paradoxerweise nimmt die Zahl der Ärzte in Europa zu. Sie wird zwischen 2010 und 2020 um 5 Prozent gestiegen sein, was über der durchschnittlichen Schaffung von Arbeitsplätzen in sämtlichen Sektoren liegt (3 Prozent). Allerdings gibt es nach wie vor Schwierigkeiten bei der Personalbeschaffung. Der Mangel an qualifizierten Kandidaten ist für die Hälfte der unbesetzten Arztstellen in der Europäischen Union verantwortlich.
Diese Schwierigkeiten sind vor allem in ländlichen Gebieten akut, insbesondere in Skandinavien, Frankreich, Estland oder Lettland, wo sich viele Ärzte in Städten, aber nur wenige auf dem Land niederlassen. In der Slowakei, wo dieses Phänomen ebenfalls besonders ausgeprägt ist, gibt es beispielsweise 6,8 Ärzte für 1000 Einwohner in städtischen Gebieten und 2,7 in ländlichen Gebieten, d. h. 2,5 mal weniger. In Ungarn gibt es 5,1 Mediziner für 1000 Einwohner in der Stadt, verglichen mit 2,2 auf dem Land.
Immer ältere Mediziner
Gleichzeitig wächst die Zahl der Fachärzte deutlich schneller als die Zahl der Allgemeinmediziner. Dieses Phänomen dürfte sich mit den massiven Pensionierungen verstärken, die in den kommenden Jahren erwartet werden. In einigen Ländern ist der Anteil der Ärzte über 55 Jahre beträchtlich. So sind es beispielsweise 55 Prozent in Italien, 47 Prozent in Frankreich und 48 Prozent in Estland. Die Mitgliedstaaten, die sich offenbar nicht ausreichend darauf vorbereitet haben, haben nicht geplant, eine ausreichende Anzahl neuer Mediziner auszubilden, um diese Lücke zu schließen. Dies gilt insbesondere für 15 EU-Länder.
In den Ländern, die der Europäischen Union erst vor kurzem beigetreten sind, liegt das Problem anderswo. Diesen Staaten fällt es manchmal schwer, ihr Gesundheitspersonal zu halten. Dies gilt auch für Länder, die hart von der Krise getroffen wurden, wie Portugal oder Griechenland, wo die Mitarbeiterfluktuation hoch ist. Lange Arbeitstage, Stress, Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, zu niedrige Löhne, mangelnde Infrastruktur: All das kann dazu führen, dass sie ihren Arbeitsplatz aufgeben. Oder dazu, dass sie ihre Berufe in anderen Ländern ausüben, wo ihnen günstigere Bedingungen geboten werden. Von allen reglementierten Berufen sind Ärzte die häufigsten Migranten Europas. Zu beobachten sind vorwiegend Ströme von Ost nach West bzw. von Süd nach Nord. In einigen Ländern wie Polen und Ungarn verschärft dieses Phänomen sogar den Ärztemangel. Auf der anderen Seite lassen sich viele ausländische Mediziner in Ländern wie Deutschland, den skandinavischen Ländern, und vor allem auch dem Vereinigten Königreich nieder.
Im Vereinigte Königreich verstärkt der Brexit den Ärztemangel
Der britische Gesundheitsdienst National Health Service (NHS) hat die europäische Arbeitskraft bisher stark in Anspruch genommen, um sein medizinisches Personal zu ergänzen, so dass Ärzte aus der Europäischen Union etwa 10 Prozent der heute im Vereinigten Königreich tätigen Fachleute ausmachen.
Allerdings lassen die Ankünfte seit 2015 nach. In diesem Jahr kündigte der damalige Premierminister David Cameron seine Absicht an, ein Referendum über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union durchzuführen. Seit dem Sieg der Brexit-Befürworter im Juni 2016 hat sich die britische Regierung verpflichtet, dafür zu sorgen, dass unter anderem europäische Ärzte nicht beeinträchtigt werden. Sie sollen auch weiterhin im Vereinigten Königreich praktizieren können, aber die Besorgnis hält an und Ausländer fühlen sich nicht mehr willkommen. Im Jahr 2017 wurden 3458 Ärzte aus einem anderen Land der Europäischen Union registriert, gegenüber 4644 im Jahr 2014, was einem Rückgang von 26 Prozent entspricht. Eine Studie aus dem Jahr 2016 ergab, dass das Vereinigte Königreich bis 2027 190.000 neue Ärzte benötigen wird. Zwar werden neue Mediziner ausgebildet , aber es gibt – mehr noch als in anderen Ländern – keinerlei Garantie dafür, dass diese zusätzlichen Stellen ausreichen werden, um die Lücken im Vereinigten Königreich zu schließen.
https://voxeurop.eu/fr/2018/m-decins-5122347