Europas Abhängigkeit von Medikamenten-Importen
Die meisten der weltweit verkauften Medikamente stammen aus Indien und China, denn dort wird am günstigsten produziert. Die Folge: Unsere Medikamentenversorgung liegt in der Hand weniger Firmen.
Europas Abhängigkeit von Medikamenten-Importen
Die meisten der weltweit verkauften Medikamente stammen aus Indien und China, denn dort wird am günstigsten produziert. Die Folge: Unsere Medikamentenversorgung liegt in der Hand weniger Firmen.
Die Corona-Pandemie grassiert und schürt Ängste vor Medikamenten Engpässen. Anfang März verkündete Indien, die Apotheke der Welt, dass es seine Medikamentenausfuhren drosseln würde. Die Situation fördert ein Problem zutage, das es nicht erst seit Corona gibt: Die Abhängigkeit der weltweiten Pharmaindustrie von wenigen Herstellern in Indien und China.
Die Lieferkette von Medikamenten zieht sich heutzutage über mehrere Kontinente. Europäische Pharmakonzerne lassen ihre Produkte in Indien herstellen, doch die zugrundeliegenden Wirkstoffe kommen wiederum zu 70 Prozent aus China. So stellt das Land zum Beispiel 80 bis 90 Prozent der globalen Wirkstoffmengen für Antibiotika zur Verfügung. Der Grund ist simpel, denn nirgends lassen sich so große Mengen so günstig produzieren.
China setzt zunehmend auf Qualität
Trotzdem besitzen Indien und China im Prinzip keine eigenständige Pharmaindustrie. Denn was dort produziert wird, sind vor allem sogenannte Generika – Medikamente also, deren Patentrecht ausgelaufen ist und das nun in gleicher Zusammensetzung und Wirkung von anderen Herstellern kopiert werden kann. Generika sind auf dem Markt unerlässlich, denn sie sind deutlich günstiger als die geschützen Originalpräparate, für die Pharmaunternehmen hohe Preise verlangen. Verwunderlich ist das nicht, denn bis ein Medikament marktreif ist, verschlingt es Millionen und muss in zahlreichen Studien geprüft werden. In der Regel dauert dieser Prozess über zehn Jahre.
Generika decken einen Großteil der medizinischen Versorgung ab. In Deutschland machten sie 2018 knapp 80 Prozent aller verkauften Medikamente aus, dabei verursachen sie nur 9,3 Prozent der Arzneikosten, wie der Verband Pro-Generika betont.
Weil die Erforschung und Zulassung neuer Medikamente viel Zeit, Geld und Erfahrung erfordert, liegt der Markt der geschützten Originalmedikamente noch immer in der Hand westlicher Industrienationen. Ein Blick auf die Anzahl der von Pharmaunternehmen veranlassten Studien zeigt, dass die USA weltweit mit Abstand führend im Bereich der Pharma-Forschung sind. Im Jahr 2017 wurden dort nach Angaben des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen in Deutschland 2.320 Studien durchgeführt. Zum Vergleich: In Deutschland waren es nur 588, in China 352 und in Indien nur 65 Studien.
Aber China möchte nicht nur die Werkbank der Pharmaindustrie bleiben, sondern auch in der Forschung weltführend werden. In einem Positionspapier stellte die Europäische Handelskammer in China jüngst fest: „China befindet sich in einem kritischen Stadium, denn das Land wandelt sich gerade vom Generikahersteller zum Anbieter originärer Medikamente“.
Kein Plan B
Dass die Produktion von Generika viele Jahre lang ins günstigere EU-Ausland verlagert wurde, hatte auch rechtliche Gründe. Das europäische Patentrecht, das einem Arzneimittel 20-jährigen Schutz bietet, verbietet währenddessen die Produktion jeglicher Generika des Medikaments – auch wenn diese für den Export ins Ausland gedacht oder schon für die Zeit nach Ablaufen des Patents vorproduziert werden. Das habe viele Produzenten dazu gezwungen, ihre Generika andernorts herstellen zu lassen, sagen Kritiker.
Dazu kommt die Fixierung der Krankenkassen auf den Preis. In Deutschland ermitteln die Krankenkassen in großen öffentlichen Ausschreibungen, mit welchen Herstellern sie Rabattverträge schließen, über die ein Großteil der Generika verkauft wird. Ausschlaggebend ist dabei der niedrigste Preis. Dadurch würde die Versorgung immer häufiger von nur noch einer oder zwei Unternehmensgruppen gestemmt, kritisiert der der Pro-Generika Verband in seinem Marktreport 2018: „Für viele lebensnotwendige Wirkstoffe fehlt unserem Gesundheitssystem der „Plan B“, falls ein Hersteller ausfallen sollte. Das ist ein beunruhigender Gedanke.“
Die Produktion zurück nach Europa bringen?
Der Markt für Generika müsse wieder in die EU zurückgeholt werden, so die Forderung der Branche. Krankenkassen könnten über eine Art Quote verpflichtet werden, in ihren Ausschreibungen auch Anbieter zu berücksichtigen, die ihre Wirkstoffe aus der EU beziehen, statt aus dem Ausland.
Auch auf EU-Ebene hat man sich inzwischen des Themas angenommen und im Februar vergangenen Jahres eine Lockerung des Patentrechts beschlossen, um wirtschaftliche Nachteile auszugleichen. Inzwischen soll die Produktion von Generika für den Export schon möglich sein, wenn das Patentrecht für den Original-Wirkstoff noch gilt. Auch die Vorratsproduktion ist nun zugelassen. Seitens der forschenden Pharmaunternehmen ist man darüber beunruhigt, denn jede Einschränkung des Patentrechts untergräbt die aufwendige Forschung neuer Wirkstoffe. Die neue Regelung sein ein „industriepolitischer Nackenschlag für eine der vitalsten Branchen Europas“, so der deutsche Verband.
Was die Regelung aber nicht ändert: Europa kann bei der Produktion von Arzneimitteln preistechnisch nicht mit dem asiatischen Markt mithalten. Solange Indien und China weiterhin günstig produzieren, wird der Weltmarkt von ihnen abhängig bleiben.
Dieser Artikel wurde im Rahmen eines Kooperationsprojektes verfasst uns basiert auf Daten des European Data Journalism Network .