Erweiterung: Hier geht’s wieder los, aber in Zeitlupe
Die Europäische Kommission bringt die Erweiterungsperspektiven für die westlichen Balkanstaaten wieder in Gang, und zwar als geostrategische Investition für die EU. Für Brüssel steht der Reformbedarf allerdings nach wie vor auf der Tagesordnung. Der Beitritt Serbiens und Montenegros könnte 2025 erfolgen.
Erweiterung: Hier geht’s wieder los, aber in Zeitlupe
Die Europäische Kommission bringt die Erweiterungsperspektiven für die westlichen Balkanstaaten wieder in Gang, und zwar als geostrategische Investition für die EU. Für Brüssel steht der Reformbedarf allerdings nach wie vor auf der Tagesordnung. Der Beitritt Serbiens und Montenegros könnte 2025 erfolgen.
Die Kommission nimmt das Projekt zur EU-Integration der westlichen Balkanstaaten wieder auf. Die Leitlinien der neuen Strategie für diese Region wurden in einem prägnanten Dokument vorgestellt, das am 6. Februar vorgelegt wurde. Es trägt den Titel „Eine glaubwürdige Erweiterungsperspektive für und ein verstärktes Engagement der EU gegenüber dem westlichen Balkan “. Diese Strategie legt das ehrgeizige Ziel eines möglichen Beitritts von Montenegro und Serbien bis 2025 fest, und sieht die Aufnahme kurzfristiger Verhandlungen mit Mazedonien und Albanien vor. Unterdessen hinken andere Länder auch weiterhin hinterher: Bosnien und Herzegowina, aber vor allem auch das Kosovo.
Derzeit hebt EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Bedeutung einer erneuten Erweiterung um die westlichen Balkanstaaten besonders hervor. Er sieht darin geostrategische Vorteile, die den wirtschaftlichen, politischen und sicherheitspolitischen Interessen der EU dienen würden. Dabei war es derselbe Juncker, der die Hoffnungen der Länder dieser Region kurz nach seinem Wahlerfolg 2014 zunichte gemacht hatte. Damals hatte er verkündet, dass „es in den nächsten fünf Jahren keine weitere Erweiterung geben wird“.
Diese Entscheidung war in einer für die Europäische Union sehr heiklen Zeit getroffen worden, die von mehreren aufeinander folgenden Krisen heimgesucht und von anderen Prioritäten gekennzeichnet war. So zeigte sich die europäische Öffentlichkeit gegenüber zusätzlicher Erweiterungen zunehmend skeptisch, bzw. legte sogar offene Ablehnung an den Tag.
Dieser Sinneswandel scheint in erster Linie geopolitische und sicherheitspolitische Gründe zu haben. Das Macht- und Einflussvakuum wird immer noch gefüllt: Während Brüssel woanders hinschaute, wurde die „Balkanroute “ zum Dreh- und Angelpunkt der Flüchtlingskrise. Und gleichzeitig wuchsen das Interesse und die Präsenz anderer internationaler Akteure in Südosteuropa.
Zunächst einmal ist die Rolle Russlands besorgniserregend. Zumal seit dem Beginn der Krise in der Ukraine immer deutlicher geworden ist, dass Moskau keinerlei Scheue hat, sich auf eine „diskrete Macht“ zu berufen, d. h. die Energiecharta und eine Fehlinformationsstrategie. Damit prangert es die Schwachstellen der EU in ihrem „Innenhof“ an. Darüber hinaus zeigt man auch mit dem Finger auf die Türkei, in der sich das Erdogan-Regime immer weiter von den gemeinsamen Werten der EU entfernt.
Bezüglich Chinas ist festzustellen, dass es diese Region im Rahmen seiner Strategie der internationalen Behauptung ins Visier genommen hat. Diese gilt als natürlicher Verankerungspunkt in Europa, insbesondere weil sie zur neuen und beeindruckenden Seidenstraße (Belt and Road Initiative, „Neue Seidenstraße“) gehört, die von Peking gefördert wird.
Andererseits hat sich der Brexit – wenn auch unbeabsichtigt – für den westlichen Balkan als Verbündeter erwiesen. Infolge der Ankündigung des EU-Ausstiegs Großbritanniens verspürt Brüssel das Bedürfnis, die Anziehungskraft des europäischen Projekts erneut zu bekräftigen. Insbesondere angesichts der negativen Auswirkungen dieser ersten und schmerzhaften „Schrumpfung“ der Europäischen Union.
Ja zur Erweiterung, aber ohne auf Reformen zu verzichten
Zwar bestätigt die neue Öffnung gegenüber den westlichen Balkanstaaten das feierliche Integrations-Versprechen von Thessaloniki, das beim Gipfeltreffen im Jahr 2003 gegeben wurde. Jedoch bedeutet das längst nicht, dass es einen reibungslosen Ablauf mit festen Fristen und automatischen Fortschritten geben wird. Um von der so genannten „historischen Gelegenheit“ zu profitieren, wurden die Regierungen der Länder der Region aufgefordert, einen neuen Reformplan in Schlüsselbereichen wie Rechtsstaatlichkeit, Wettbewerbsfähigkeit, regionaler Zusammenarbeit und Aussöhnung umzusetzen.
Die Einschätzung der Kommission ist unterdessen alles andere als entgegenkommend: Trotz „deutlicher Fortschritte seit den 1990er Jahren“ und eines starken Ausbaus der Handelsbeziehungen zwischen dem Balkan und der EU (80 Prozent Anstieg seit 2008), bleibt in den Ländern der Region noch viel zu tun. Zumal dort klare „Verbindungen zur organisierten Kriminalität und Korruption auf allen Regierungsebenen“ zu beobachten sind, ein „weitverbreitetes Gefühl der Straffreiheit“ herrscht, und „die Politik in die Medien eingreift und diese kontrolliert“. Darüber hinaus existieren „nicht wettbewerbsfähige Wirtschaftssysteme, die nicht zur Kategorie der ‚funktionierenden Marktwirtschaft‘ gezählt werden können“.
In dem von der Kommission vorgelegten Dokument wird besonders auf die Notwendigkeit hingewiesen, alle bilateralen Streitigkeiten zu lösen, sowie eine echte Versöhnungspolitik zu betreiben. Erst dann würden sich die Bemühungen um eine Mitgliedschaft in der EU lohnen. Brüssel, das sich beim Konflikt um die Bucht von Piran zwischen Kroatien und Slowenien ) die Finger verbrannt hat, wird „neue Streitigkeiten schlichtweg nicht akzeptieren“, zumal sie einen gefährlichen Stabilitätsverlust nach sich ziehen könnten.
Diese Botschaft richtet sich vor allem an Serbien und Kosovo, die im Hinblick auf den Beitritt zur Europäischen Union ein „rechtlich bindendes Abkommen über die Normalisierung ihrer Beziehungen“ erzielen müssen. Aber auch an Mazedonien, das die Namensfrage noch nicht gelöst hat, die seit vielen Jahren eine Konfliktquelle mit Griechenland ist.
Dem optimistischsten Szenario zufolge geht die Kommission davon aus, dass Serbien und Montenegro 2025 beitrittsreif sein werden. Die Aufnahme von Verhandlungen mit Albanien und Mazedonien könnte unterdessen bereits im Juni nächsten Jahres erfolgen, wie die EU-Außenminister kürzlich auf einem informellen Gipfeltreffen in Sofia erklärten. Zwar ist der Beitritt dieses Landes zur Union an die Lösung des zu übernehmenden Namens gebunden, aber Griechenland und Mazedonien scheinen heute mehr denn je entschlossen, diesen alten Kampf beizulegen.
Dagegen ist die Situation in Bosnien-Herzegowina und im Kosovo viel komplizierter. Pristina ist von der neuen Strategie eindeutig enttäuscht: Das Kosovo, das von fünf EU-Staaten nicht anerkannt wird, befindet sich noch immer in einer Art Schwebezustand, und hat keinerlei Gewissheit, ob und wann es zumindest in der Lage sein wird, den Prozess einzuleiten, den Belgrad in den nächsten Jahren abzuschließen hofft.
Die Verantwortung für die Umsetzung von Maßnahmen zur Angleichung an die EU-Standards liegt eindeutig bei den lokalen Eliten. „Die Staats- und Regierungschefs der Region müssen die volle Verantwortung für den Prozess übernehmen und mit gutem Beispiel vorangehen“, steht im Dokument der Kommission geschrieben. Dies erinnert daran, dass „der EU-Beitritt eine Entscheidung ist, welche eine politische und gesellschaftliche Konsensbildung voraussetzt“.
Was die EU anbelangt, so schlägt sie ein neues Maßnahmenpaket in Form von sechs „Leitinitiativen zur Unterstützung der Transformation des westlichen Ballkans “ vor. Diese reichen von der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit über die Förderung der Verkehrs- und Energieanbindung bis hin zur digitalen Strategie, und gehen im Jahr 2018 mit einer leichten Aufstockung der Mittel für die Region einher (in Höhe von etwas mehr als einer Milliarde €uro).
Laufende Bemühungen
Die neue EU-Strategie ist ein wichtiger Schritt nach vorn, nicht zuletzt wegen der politischen Botschaft, die sie der Region vermittelt. Ganz anders als die Hinhaltetaktik zu Beginn des Mandats, ist die Kommission von Präsident Juncker nunmehr ausdrücklich der Meinung, dass der Beitritt der westlichen Balkanstaaten nicht nur im Interesse der Region, sondern auch der Europäischen Union liegt.
Brüssel lässt neue Hoffnung aufkommen, warnt gleichzeitig aber in strengem Ton, dass es keineswegs bereit ist, neue Mitglieder aufzunehmen, die nicht bereit sind, die Anforderungen zu erfüllen. Gleichzeitig spricht sie damit Ländern wie Bulgarien und Rumänien auf nicht wirklich verschleierte Art und Weise eine Warnung aus. Schließlich wird auf sie – trotz ihrer vollwertigen Mitgliedschaft – seit mehr als zehn Jahren immer noch mit dem Finger gezeigt.
Die neue Strategie skizziert einen möglichen Fahrplan, ohne dabei darauf zu verzichten, wichtige Bedingungen zu stellen. Dadurch wird der Druck auf die führenden Politiker der Länder der Region aufrechterhalten. Nach wie vor sind die EU-Politiker ihnen gegenüber misstrauisch eingestellt.
Unterdessen gibt es noch immer Unklarheiten: Einerseits ist fragwürdig, ob die öffentliche Begeisterung für die Beitrittsperspektiven auf dem Balkan aufrechterhalten werden kann (zumal sie in den letzten Jahren bereits deutlich zurückgegangen ist, und sich der Zeitplan zunehmend vom Alltag der Bevölkerung entfernt). Andererseits ist unsicher, ob es überhaupt möglich ist, die Länder der Region auch wirklich schrittweise zu integrieren, ohne dass die Voraussetzungen für ein gegenseitiges Vetorecht zwischen den zugelassenen und ausgeschlossenen Ländern geschaffen werden. Und das trotz der deutlichen Bereitschaft, Meinungsverschiedenheiten zu lösen, während sich alle noch im Wartezimmer befinden.
Es besteht kein Zweifel daran, dass die neue Strategie für den Westbalkan einen neuen Ausgangspunkt darstellt. Um diese Initiative zu unterstützen und ihr die notwendige Glaubwürdigkeit zu verleihen, hat Jean-Claude Juncker angekündigt, dass er bald in die Region reisen, und mit Mazedonien beginnen wird. Das nächste wichtige Treffen wird der Balkan-Gipfel in Sofia sein, den Bulgarien im Mai im Rahmen seiner halbjährlichen EU-Ratspräsidentschaft veranstaltet. Skopje und Tirana könnte dort grünes Licht für die Aufnahme von Verhandlungen gegeben werden. Dies wäre ein entscheidender erster Schritt in einem Prozess, welcher Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte andauern wird.