Ein Drittel aller Europäer war noch nie im Ausland
Erasmus, das Ende des Roamings, der Komfort des Euros: Die Rhetorik über die Vorteile der europäischen Integration betrifft nur die wenigen, die oft von einem Land in ein anderes ziehen. Aber 37 % der europäischen Bürger sind noch nie im Ausland gewesen.
Ein Drittel aller Europäer war noch nie im Ausland
Erasmus, das Ende des Roamings, der Komfort des Euros: Die Rhetorik über die Vorteile der europäischen Integration betrifft nur die wenigen, die oft von einem Land in ein anderes ziehen. Aber 37 % der europäischen Bürger sind noch nie im Ausland gewesen.
Fast 40 % der europäischen Bürger sind noch nie in einem anderen Staat der Europäischen Union gewesen als in ihrem eigenen. Das ist vor allem üblich in Ländern Südosteuropas. Aber selbst in Ländern wie Italien, Spanien oder Polen haben mehr als 50 % der Bevölkerung die Landesgrenzen nie verlassen.
Es geht um etwa 190 Millionen Menschen, die trotz der allgegenwärtigen Berichte über die Bewegungsfreiheit der Bürger innerhalb der früheren nationalen Grenzen von dieser Freiheit praktisch ausgeschlossen sind. Was interessiert diese Menschen schon Erasmus oder das Ende des Roamings? Wie können sie jemals die Vorteile der einheitlichen Währung und die Abschaffung der Grenzkontrollen wahrnehmen? Doch auf genau diese Ziele und ihre Verwirklichung gründet die Europäische Union seit Jahrzehnten einen großen Teil ihrer Politik und ihrer Versuche, die „Kluft zu den Bürgern“ zu schließen.
In Wirklichkeit bleiben viele Menschen von der europäischen Politik und dem Thema an sich unberührt. Es betrifft lediglich die 34 % der „integrierten“ Bürger, die mindestens einmal im Jahr von einem EU-Land ins andere reisen – eine Art Elite, die sich fast nur auf Westeuropa konzentriert.
Bei allen anderen scheint es sich um Menschen zu handeln, die von den europäischen Institutionen weniger Aufmerksamkeit bekommen, sodass es kaum Statistiken über sie gibt. Es ist paradox, dass die besten verfügbaren Daten über Nichtreisende in einer Untersuchung über die Abschaffung des Roamings enthalten sind, die sie sicherlich nicht betrifft.
Selbst wenn sich die Europäische Union einmal um diese Personen kümmert, tendiert sie dazu, sie als Empfänger lokaler Entwicklungspolitik und Schutzbedürftige wegen Ausgrenzung einzustufen. Dabei werden sie in eine eher untergeordnete Rolle gedrängt und nicht als vollberechtigte europäische Bürger behandelt. Im Gegensatz zu ihren Landsleuten, die eher dazu neigen das Ausland zu erkunden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass diese Menschen die Europäische Union als etwas Fremdes und Fernes sehen, das sie nicht verstehen und vor dem sie sich in Acht nehmen sollten.
Aber warum reisen so wenige Personen über die Grenzen Europas? Es ist klar, dass das Leben in einem sehr großen oder eher isolierten Land von Auslandsaufenthalten abhalten kann. Die geografische Lage zählt, reicht aber alleine nicht aus, die Abneigung vor Auslandsreisen zu erklären. Für einen Ungarn zum Beispiel wäre es sehr leicht in einen anderen EU-Staat zu reisen – aber nur wenige Ungarn haben es je getan. Selbst wirtschaftliche Faktoren reichen nicht aus, um diese Zurückhaltung angesichts der mittlerweile sehr niedrigen Reisekosten innerhalb Europas zu begründen.
Es gibt aber sicherlich einen kulturellen und generationsbedingten Faktor, der das grenzüberschreitende Reisen erschwert. Ein moderater Anstieg der Mobilität ist zwar bei jungen Menschen festzustellen, aber nicht in allen Ländern. Im Jahr 2016 verbrachte nur 1 % der jungen Rumänen unter 24 Jahren mindestens eine Nacht im Ausland – ein Anteil, der nur etwas höher ist als der ihrer Großeltern.
Auf Vorschlag von Manfred Weber, dem Vorsitzenden der Volkspartei im Europäischen Parlament, hat die Europäische Union in diesem Jahr das Projekt DiscoverEU ins Leben gerufen: Achtzehnjährigen bekommen ein Interrail-Ticket angeboten, mit dem sie frei ins Ausland reisen können und somit andere europäische Länder ein wenig kennenlernen können (Antragsfrist ist der 26. Juni). Angesichts des Gesamtbildes ist diese Initiative wichtiger und wertvoller, als man glaubt.
Aber selbst diese Initiative begünstigt nur die Minderheit der Jugendlichen, die bereit sind, ins Ausland zu reisen. Zu den Kriterien für die Ticketausstellung gehört nämlich auch ein Bezug der Kandidaten zur EU. Hinzu kommt, dass der Anteil der verfügbaren Tickets proportional zur Anwohneranzahl ist: So hat Belgien Anspruch auf die gleiche Anzahl Tickets wie Griechenland, obwohl statistisch gesehen junge Belgier 15-mal häufiger ins Ausland reisen als griechische Gleichaltrige.