Der Geist von Pim Fortuyn
Die Kommunalwahlen vom 21. März haben einmal mehr gezeigt, wie weit Massenmedien und Politiker von der Wirklichkeit entfernt sind, meint der Populismus-Experte Cas Mudde.
Pim Fortuyn, der extravagante rosa Populist, wird sein politisches Erbe nie zu Augen bekommen. Im Mai 2002 wurde er kaltblütig ermordet. Nur neun Tage später erzielte seine Partei, die Lijst Pim Fortuyn (LPF), einen Wahlrekord für eine neue Partei, und trat direkt in die rechte Koalitionsregierung ein. Aufgrund von Machtkämpfen innerhalb der LPF brach die Koalition nach 89 Tagen, und die Partei selbst nach sechs Jahren zusammen. Dennoch schwebt der Geist von Fortuyn noch immer über der niederländischen Politik. Seit seinem Durchbruch geht es in fast jeder Wahl um die „LPF-Wähler“. Das galt auch für die Kommunalwahlen vom 21. März.
In Amsterdam setzten sich die früher im Zentrum angesiedelten Christdemokraten für ein stark autoritäres Programm ein, das in der Zeit nach Fortuyn immer eine nativistische Dimension hat. Unterdessen organisierte die Stadt Rotterdam eine „Islamdebatte“, in der sich Geert Wilders’ Partij voor de Vrijheid (Partei für die Freiheit, kurz PVV) und die „türkische Partei“ DENK zur Freude der lokalen und nationalen Medien heftig aneinander gerieten.
Im Vorfeld der Kommunalwahlen beschäftigten sich die niederländischen Medien nahezu zwanghaft mit dem jüngsten Kind im rechtspopulistischen Block: Dem Forum voor Democratie (Forum für Demokratie, kurz FvD) des selbsternannten „größten Intellektuellen der Niederlande“, Thierry Baudet. Und das obwohl diese Partei nur in einer Stadt kandidierte: In Amsterdam. In Rotterdam ging die FvD ein Bündnis mit der größten Partei der Stadt ein, der Leefbaar Rotterdam (Lebenswertes Rotterdam), der einzigen verbleibenden Partei von Fortuyn. Die internationalen Medien bliesen ungefähr ins gleiche Horn, und das Online-Magazin Foreign Policy verkündete sogar „Die neue niederländische Krankheit ist weißer Nationalismus “ (zugegebenermaßen wurde der Artikel von einem Niederländer geschrieben).
Kein Wunder also, dass sich die ersten internationalen Reaktionen auf die vorläufigen Ergebnisse der FvD konzentrierten. Reuters veröffentlichte eine auf den ersten Wahlhochrechnungen basierende Kurznachricht mit dem Titel „Neue Nationalistische Partei gewinnt zwei Sitze in Amsterdam“. Wahrscheinlich werden es drei von insgesamt 45 Sitzen sein, d. h. ebenso viele wie DENK und die Partei für Tiere (PVDD)! Genau genommen ist sie mit ungefähr sechs Prozent der Stimmen die achtgrößte Partei der Hauptstadt, was etwas mehr als einem Drittel der derzeitigen nationalen Wahlergebnisse der Partei entspricht.
Ein weiteres Vermächtnis von Fortuyn ist, dass „seine“ Stadt Rotterdam von zentraler Bedeutung für die niederländische (Lokal-)Politik im 21. Jahrhundert ist. „Die Streithähne Leefbaar und DENK dominieren den Wahlkampf in Rotterdam“, verkündete der niederländische öffentlich-rechtliche Sender NOS mit großer Freude. Allerdings erreichten die beiden Parteien, die in landesweiten Fernsehdebatten bei Themen wie „Islam“ und „nicht-westliche Läden“ die Klingen kreuzten, in der zweiten Stadt der Niederlande insgesamt nur weniger als ein Viertel aller Stimmen.
Wie man diese Karte liest:
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Karte | Sitze | Rat | Wahlstimmen
Parteien mit den meisten Stimmen
CDA | VVD | GL | CU | SGP | PVDA | SP | D66 l Andere | Verbleibend | Lokal | Kein Ergebnis | Keine Wahl
Aber die bedeutsamste Geschichte der Kommunalwahlen wurde nicht in den Hauptstädten geschrieben, sondern in den Provinzstädten und -gemeinden. Dort waren die lokalen Parteien bei weitem die größten Gewinner der Nacht. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern haben die Niederlande keine stark verwurzelte lokalpolitische Tradition. Die meisten nationalen Parteien des 20. Jahrhunderts dominierten auch die lokale Politik. Es bleibt folglich abzuwarten, ob der Aufstieg der lokalen Parteien vor allem ein Zeichen für die Enttäuschung über die nationalen Parteien ist, wie es zumeist vermutet wird, oder ob er eher ein Beweis für die Entstehung einer echten lokalen Politik ist, wie viele ihrer Anführer behaupten. Um eindeutige Schlussfolgerungen zu ziehen sind die Parteien zu unterschiedlich. Einige – wie die Groep de Mos, die größte Partei in Den Haag –, haben sich von nationalen Parteien abgespalten (in diesem Fall von der Partei für die Freiheit von Geert Wilders). Bei anderen – wie den meisten unter dem Oberbegriff „Gemeente Belangen“ (Gemeindeinteressen) zusammengefassten Parteien – handelt es sich wirklich um lokale Parteien.
Die zweitwichtigste Geschichte hat sich in den Städten abgespielt. Gemeint ist der Erfolg der GroenLinks (GrünLinks, kurz GL), die in mehreren Städten als erfolgreichste Partei aus der Wahl hervorging, darunter zwei der vier größten Städte der Niederlande: Amsterdam und Utrecht. Ihre (neue) Unterstützung ist zweifellos auch teilweise eine Protestwahl, da sie die einzige große Partei ist, die nie auf nationaler Ebene regiert hat.
Allerdings ist GrünLinks auch die größte Anti-Weiß-Nationalismus-Partei. Im Wahlkampf setzte sie sich in erster Linie für eine positive Agenda ein, die in direktem Gegensatz zur (radikalen) rechten Schwarzmalerei der Bedrohung steht. Vielmehr fordert sie ein Zeitalter, in dem die „Hoffnung über die Angst siegt“, und „Neues anstelle des Status quo“ rückt, sowie „ehrliches Miteinanderteilen jeglichen Egoismus“ überwindet.
Im Wesentlichen zeigen die Kommunalwahlen einmal mehr, wie realitätsfremd die Massenmedien und Politiker sind. Bei ihnen sitzt der Fortuyn-Schock noch immer so tief, dass sie ihre damalige Unterschätzung der sogenannten „stillen Mehrheit“ überkompensieren, indem sie sich ausschließlich nach einer wirklich sehr lauten Minderheit richten. Von der linken Socialistische Partij (SP) bis hin zur rechten konservativen Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) von Ministerpräsident Marc Rutte, sind Parteien und Politiker von Einwanderung, Islam und Sicherheit wie besessen. Dabei haben diese Themen nur bei den Wählern der rechtsradikalen Parteien höchste Priorität.
Dringend sollten Journalisten und Politiker aufhören, die rechtsradikalen Wähler als die gesamte Bevölkerung zu behandeln. Vielmehr sollten sie sich mit allen Themen befassen, die alle niederländischen Staatsbürger betreffen. Dazu gehören zwar Einwanderung und Sicherheit, aber mindestens ebenso wichtig sind viel weniger diskutierte Themen wie Bildung, Gesundheitsversorgung, Wohnen und Arbeitslosigkeit.
Alle diese Themen sollten in den Medien ausführlich behandelt, und konstruktiv diskutiert werden, und eben nicht in einem absichtlich polarisierten Rahmen. Während die Medien immer wieder argumentieren, dass „die wütenden Menschen“ bereit sind, zu ihren Mistgabeln zu greifen, um „die Elite“ anzugreifen, zeigt eine aktuelle Studie, dass die Mehrheit der niederländischen Bevölkerung zwar glaubt, dass sich das Land in die falsche Richtung bewegt, nur vier Prozent (!) aber „wirklich wütend“ sind.
Fast zwei Jahrzehnte lang hat man versucht, die verärgerte Minderheit zu befriedigen. Allerdings hat sie das weder weniger wütend, noch die breite Bevölkerung zufriedener gemacht. Die rechtsradikalen Wähler glauben immer noch, dass ihre Themen ignoriert, oder zumindest nicht gründlich genug behandelt werden, während die anderen Wähler das Gefühl haben, dass ihre Themen jetzt auch ignoriert werden.
Es ist höchste Zeit, dass sich die politischen Parteien wieder mit den Anliegen der wirklich stillen Mehrheit befassen. Insbesondere mit dem schrumpfenden Sozialstaat, der zunehmenden wirtschaftlichen Ungleichheit, und dem allgemeinen Fehlen einer positiven Agenda für die Zukunft. Dies sollte die eigentliche Lehre sein, die Journalisten und Politiker aus den niederländischen Kommunalwahlen ziehen sollten. Nicht nur in den Niederlanden, sondern auch in anderen westlichen Demokratien, die von einer lauten Minderheit als Geiseln genommen wurden.
http://www.voxeurop.eu/en/2018/dutch-local-elections-5121906