Ständig wachsende Ungleichheiten zwischen den europäischen Rentnern
Die europäischen Rentner bleiben von den wachsenden Ungleichheiten nicht verschont.
Ständig wachsende Ungleichheiten zwischen den europäischen Rentnern
Die europäischen Rentner bleiben von den wachsenden Ungleichheiten nicht verschont.
In den Augen der europäischen Bürger ist der Ruhestand seit der Krise ein immer wichtigeres Thema geworden: So betrachten beispielsweise 16 Prozent der Italiener die Rente nunmehr als eine der beiden größten Herausforderungen für ihr Land. Vor zehn Jahren meinten dies vergleichsweise nur 8 Prozent. Und in der Tat handelt es sich hierbei um eines der wichtigsten Themen im Vorfeld der für den 4. März angesetzten italienischen Parlamentswahl. Bei den bisherigen Diskussionen darum haben sich die rechten Parteien bereits darauf geeinigt, die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters aufzuheben, obwohl sie in der Reform 2011 vorgesehen ist. In Frankreich schlug Präsident Emmanuel Macron dagegen vor, das Rentensystem mithilfe eines „Punkte-Systems“ zu vereinfachen, ohne das Alter oder die Beitragsdauer zu verändern. Dieses heikle Projekt wurde nun auf 2019 verschoben.
In künftigen wirtschaftlichen und sozialen Debatten wird das Thema Renten eine zentrale Rolle in ganz Europa spielen. Einerseits wegen des zunehmenden Drucks auf die öffentlichen Haushalte, andererseits wegen den demographischen Entwicklungen. Im Jahr 2050 wird die OECD voraussichtlich mehr als 50 Rentner pro 100 Erwerbstätige zählen, das sind doppelt so viele wie 2015. In Spanien und Italien soll diese Quote bis auf über 70 Rentner pro 100 Erwerbstätige steigen.
Ferner steigt die Lebenserwartung fortwährend, was die Anzahl der Ruhestandsjahre erhöht (im Jahr 1990 waren es 19,6 Jahre für Frauen und 14,6 Jahre für Männer, heute sind es in der OECD durchschnittlich 22,5 und 18,1 Jahren), und die Rentenbezüge vervielfacht. Hinzukommt auch, dass die geburtenstarken Jahrgänge (die sogenannten „Babyboomer“) das Rentenalter erreichen, während sich die Geburtenraten in der gesamten OECD auf einem relativ niedrigen Niveau eingependelt hat. All dies kann für die zukünftigen Rentner entweder zu sinkenden Ersatzraten führen (d. h. das in Prozent ausgedrückte Verhältnis zwischen dem zu beziehenden Renteneinkommen, und dem letzten verdienten Lohn), oder aber ansteigende staatliche Ausgaben für die Rentensysteme erforderlich machen.
Obwohl die Lebensqualität älterer Menschen seit der Krise offenbar erhalten geblieben ist, dürfte diese Situation nicht lange anhalten, warnt die OECD in einem kürzlich veröffentlichten Bericht über die Ungleichheiten im Bezug auf die unterschiedlichen Altersklassen. Deren erste Ausgabe wurde im November letzten Jahres veröffentlicht, was beweist, dass dieses Thema nunmehr Bestandteil der politischen Debatten ist. „Das zunehmende Alter wird für Generationen, die ab den 1960er Jahren geboren wurden, unterschiedlich erlebt werden, zumal die Lebenserwartung stets angestiegen ist, die familiären Einheiten immer kleiner geworden sind. Ferner sind die Ungleichheiten im Laufe des Arbeitslebens und aufgrund der Reformen immer grösser geworden, und die Renten wurden immer mehr gekürzt“, warnt die Institution.
Drei mögliche Lösungsansätze
Um die Tragbarkeit ihrer Rentensysteme unter diesen Bedingungen zu gewährleisten, stehen den Staaten drei unterschiedliche Ansätze zur Verfügung: Die Anhebung des Rentenalters, die Erhöhung der von den Arbeitnehmern gezahlten Rentenbeiträge, oder die Senkung der Rentenzahlungen an die Pensionäre.
Während die Beitragserhöhung das Defizit eines Rentensystems mechanisch reduziert, „erhöht sie die Lohnnebenkosten, und kann sich wiederum auf die Nettolöhne oder die Beschäftigung auswirken, je nachdem, wie der Arbeitsmarkt im Laufe der Zeit reagiert“, betont die OECD in ihrem jüngsten Rentenüberblick , der im November 2017 veröffentlicht wurde.
Dagegen scheint eine mögliche Senkung des Rentenniveaus angesichts der zunehmenden Ungleichheiten in den fortgeschrittenen Lebensphasen ebenfalls kaum vertretbar. Aus diesem Grund haben sich viele europäische Länder für den dritten Lösungsansatz entschieden: Die Anhebung des Rentenalters. Durch eine Verlängerung der Beitragszeit, die für den Bezug einer vollen Rente erforderlich ist (in Frankreich von 41,5 auf 43 Jahre abgehoben), oder durch eine Erhöhung des gesetzlichen Rentenalters. Bis zum Jahr 2060 wird erwartet, dass das normale Renteneintrittsalter in etwa der Hälfte der OECD-Länder erhöht wird: Bei Männern um 1,5 Jahre, bei Frauen um etwa 2 Jahre. Diese Maßnahme wird von der OECD als „Win-Win-Situation“ betrachtet „zumindest für diejenigen, die tatsächlich länger arbeiten können“.
Ein von Ungleichheiten geprägter Alterungsprozess
Die Anhebung des Renteneintrittsalters kann jedoch die Ungleichheiten zwischen den Rentnern verschärfen, da die Lebenserwartung nicht für alle Gesellschaftsschichten in gleichem Maße ansteigt. In Frankreich liegt der Unterschied der Lebenserwartung zwischen den ärmsten 5 Prozent der Männer (durchschnittlicher Lebensstandard von 470 Euro pro Monat) und den reichsten 5 Prozent (5.800 Euro) beispielsweise bei ganzen 13 Jahren, wie ein kürzlich veröffentlichter INSEE-Bericht zeigt. „Eine einjährige Anhebung des Renteneintrittsalters stellt für Geringverdiener folglich einen größeren Verlust dar als für ihre wohlhabenderen Mitbürger“, betont die internationale Organisation. Eine bis 2060 erfolgende Erhöhung des durchschnittlichen europäischen Rentenalters um drei Jahre würde die relative Rente der erwerbstätigen Armen um 2,2 Prozent senken.
Zudem stellt sich die Frage, ob die qualifizierten und ungelernten Senioren sich auch am Ende ihrer Karriere auf dem Arbeitsmarkt durchsetzen können. Zwar notiert die OECD eine Verbesserung der Beschäftigungsquote für Europäer im Alter von 55 bis 64 Jahren (44 Prozent im Jahr 2000 gegenüber 58 Prozent im Jahr 2016), jedoch lassen die Fortschritte noch zu wünschen übrig.
Dauerhafte Lohnungleichheiten
Obwohl die jüngeren Generationen laut OECD „im Vergleich zu den heutigen Rentnern im fortgeschrittenen Alter einem erhöhten Risiko der Ungleichheit ausgesetzt sein werden“, ist die Institution in ihrem jüngsten Überblick über die Renten davon überzeugt, dass die meisten europäischen Rentensysteme nicht in der Lage sind, die während des gesamten Lebens entstehenden Ungleichheiten auszugleichen, und insbesondere die Lohngefälle. In Belgien, Frankreich, Spanien und Italien haben erwerbstätige Armen (die weniger als 50 Prozent des Durchschnittseinkommens verdienen) niedrigere Ersatzquoten als andere.
Im Durchschnitt lassen sich fast drei Viertel der Lohnunterschiede, die während einer Karriere in den OECD-Ländern angehäuft wurden, auch nach der Pensionierung nachweisen. In Spanien, Frankreich oder Italien erreicht diese Zahl sogar 90 Prozent. Das Vereinigte Königreich scheint hier eine Ausnahme zu sein. Wenn man allerdings „die Zusatz-Rentensysteme hinzufügt, dann beträgt das sich während des Ruhestandes wiederholende Lohngefälle noch immer 20 bis 25 Prozent“, beschreibt die Institution. Folglich ist es oberste Priorität, die Gerechtigkeit unserer Rentensysteme zu verbessern.