Kosovo: Der Traum vom Leben im Ausland
Obwohl das Kosovo immer noch auf der "schwarzen Liste" von Schengen steht, träumen viele seiner Bürger von einer Zukunft im Ausland. Unter den am besten qualifizierten Berufsgruppen, wie z. Bsp. den Ärzten, können wir bereits von „Braindrain“ (Talentschwund) sprechen.
Kosovo: Der Traum vom Leben im Ausland
Obwohl das Kosovo immer noch auf der „schwarzen Liste“ von Schengen steht, träumen viele seiner Bürger von einer Zukunft im Ausland. Unter den am besten qualifizierten Berufsgruppen, wie z. Bsp. den Ärzten, können wir bereits von „Braindrain“ (Talentschwund) sprechen.
Die Hoffnungen der kosovarischen Bürger, bis Ende dieses Jahres frei in der EU reisen zu können, schwanden, als der EU-Kommissar für Erweiterungsverhandlungen und Nachbarschaftspolitik, Johannes Hahn, Anfang Dezember nach Pristina reiste und erklärte, dass es auch 2019 keine Visa-Liberalisierung für das Kosovo geben wird.
Dennoch ist die Notwendigkeit, sich frei außerhalb des Landes zu bewegen, ganz offensichtlich. Vor einigen Monaten stieß eine Ausschreibung von 2.000 deutschen Stellenangeboten in Prizren – einer Stadt im Südwesten des Kosovo – auf großes Interesse. Tausende von Menschen versammelten sich im Kulturzentrum der Stadt, um sich auf die Stellen zu bewerben, die nach Angaben der Agentur am Hamburger Flughafen angeboten wurden. Allerdings erwies sich diese Ankündigung als falsch, wurde aber als Test dafür angesehen, wie sehr die Menschen an einer Ausreise aus dem Land interessiert seien.
Die Arbeitslosenquote des Kosovo gehört mit 30,6 Prozent zu den höchsten in Südosteuropa, so ein Bericht der Weltbank. Viele Kosovaren träumen davon, auf der Suche nach besseren Möglichkeiten ins Ausland zu ziehen. Dabei ist das Kosovo das einzige Balkanland, das noch auf der „schwarzen Liste“ von Schengen steht.
Selbst für diejenigen, die einen Job gefunden haben, ist das Leben im Kosovo eine Herausforderung. Das Baugewerbe ist beispielsweise einer der wichtigsten Arbeitgeber in der Privatwirtschaft, allerdings sind die Arbeitsbedingungen hart: mit langen Arbeitszeiten, niedrigen Löhnen, keinen förmlichen Verträgen und ungeschütztem Arbeitsumfeld. Allein in diesem Jahr verloren bereits 12 Menschen am Arbeitsplatz ihr Leben, die meisten davon waren Bauarbeiter.
Im öffentlichen Dienst läuft es ein wenig besser. Dort gibt es höhere Löhne und etwas bessere Arbeitsbedingungen. Nach Angaben der kosovarischen Statistik Agentur ASK beträgt das durchschnittliche Bruttogehalt im öffentlichen Sektor 660 Euro, im Privatbereich 371 Euro.
Fatlum Gashi, der sich an der Oxford University auf Migration spezialisiert hat, ist der Meinung, dass es neben Arbeitslosigkeit und Arbeitsbedingungen auch politische und soziale Faktoren gibt, welche die Abwanderung fördern. „Die Menschen können sich unter Berücksichtigung einer Reihe von Faktoren wie Gehälter, Zugang zu Sozialleistungen, Gesundheitsversorgung usw. für eine Auswanderung entscheiden“, erklärt Gashi.
Kosovarische Ärzte gehen nach Deutschland
Die Kardiologin Gertruda Dyla beschloss 2011 nach Deutschland zu ziehen, da sie ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft im Kosovo verloren hatte. Sie begann ihre Tätigkeit 1999 als Allgemeinärztin und leistete einen wichtigen Beitrag zur öffentlichen Gesundheit im Land. Am kosovarischen Universitätsklinikum arbeitete sie als Fachärztin und an der Medizinischen Fakultät als Dozentin.
Dyla erläutert, dass die Arbeitsbedingungen in den öffentlichen Gesundheitseinrichtungen im Kosovo schwierig und für normale Arbeit ungeeignet waren und bleiben. „Ich glaube nicht, dass es einen stärkeren Grund gibt, der uns ‚zwingt‘, unsere Heimat zu verlassen, als den Mangel an Möglichkeiten, unser Leben in Würde zu leben, und den Mangel an Hoffnung auf eine bessere Zukunft und Perspektiven für uns und unsere Familien“, meint Dyla.
Darüber hinaus sind die Arbeitsbedingungen, insbesondere in den öffentlichen Einrichtungen des Kosovo, oft nicht fair, insbesondere was die Leistung und die Ethik angeht. Dyla musste während ihrer Arbeit im Kosovo mit unterschiedlichen Schwierigkeiten fertig werden: Beispielsweise wurde ihr drei Jahre in Folge das Recht, eine Spezialisierung zu beantragen, willkürlich verweigert. Nach ihrem Umzug nach Deutschland musste sie dann erneut das Staatsexamen und die Spezialisierungs-Prüfung ablegen, da ihre Facharztausbildung aus dem Kosovo nicht anerkannt wurde.
Gertruda Dyla ist eine von vielen Ärzten, die das Kosovo verlassen. Allein in den letzten 8 Monaten waren es 100. Sie betrachtet diese Talentabwanderung (brain drain) als eine Katastrophe für die Zukunft des Kosovo. „Für ein Land mit zwei Millionen Menschen ist es eine Tragödie, innerhalb von fünf bis sechs Jahren 400 medizinische Fachkräfte zu verlieren“, fügt sie hinzu.
Fatlum Gashi zufolge wird das Land, wenn sich diese Situation fortsetzt, mit einem Mangel an Unternehmern, einer abnehmenden Zahl hochqualifizierter Arbeitskräfte, einem Rückgang der Gesundheits- und Bildungsdienste, sowie dem Verlust innovativer Projekte zurechtkommen müssen. Außerdem fügt er hinzu, dass es ebenfalls in vielen EU-Ländern an hochqualifizierten Arbeitskräften mangelt, was den Migrationsprozess aus Entwicklungsländern erleichtert. „In vielen EU-Ländern fehlen Menschen mit bestimmten Hintergründen im Gesundheitswesen und in der Hightech-Industrie. Dementsprechend gibt es eine höhere Nachfrage – und oft auch höhere marginale Vorteile – für Menschen mit diesen Hintergründen. Durch die Verwendung höherer Gehälter als Anreiz können diese EU-Länder mehr Menschen zu sich locken, damit sie in diesen Bereichen arbeiten“, erläutert er.
Asylbewerber bleiben zu Hause
Im Gegenteil dazu ist die Zahl der Asylbewerber aus dem Kosovo in Westeuropa in den letzten drei Jahren stark zurückgegangen: 2015 waren es 73.240, von denen nur 1.005 Anträge angenommen wurden. Im Jahr 2017 war diese Zahl laut EUROSTAT jedoch auf 7.575 gesunken. Im November 2018 lag die Zahl der Asylbewerber aus dem Kosovo bei nur 120 – fünfmal weniger als im gleichen Zeitraum des Vorjahres.
Suad Sadullahi zog 2014 aus Sicherheitsgründen mit seiner Familie nach Schweden. Sein Schutzstatus wurde abgelehnt, aber er erhielt eine schwedische Arbeitserlaubnis. In der Zeit, in der das Kosovo schwierige Zeiten durchlebte, da eine beträchtliche Anzahl von Menschen in Syrien dem Islamischen Staat beitrat, geriet Sadullahi in Schwierigkeiten.
„Ich habe meiner Cousine geholfen, ihren Sohn aus Syrien zurückzuholen. In diesem Jahr bekam ich Ärger mit den kosovarischen Behörden, die versuchten, mich zu zwingen, nicht über diesen Fall zu sprechen, da sie den ganzen Verdienst selbst einheimsen wollten“, behauptet Sadullahi. Bevor er nach Schweden zog, arbeitete er als Direktor des Informationszentrums für das kosovarische Versicherungsbüro (KIB) in Pristina. „Die Arbeitsbedingungen waren gut und die Löhne waren und sind immer noch sehr gut“, fügt er hinzu. Allerdings wollte er ein Leben in Frieden. Heute lebt er mit seiner Frau und seinen Kindern im schwedischen Malmö, und sie führen dort ein kleines Unternehmen.
Im Jahr 2017 lag die Zahl der registrierten Bürger des Kosovo in allen EU-Ländern bei über 200.000, die Hälfte davon (128.000) waren in Deutschland gemeldet. Die Tendenz zur Abwanderung in westliche Länder ist für die Kosovaren nichts Neues. Während der Auswanderungswelle der späten 1990er Jahre, im Kontext des Kosovo-Krieges, verließen rund eine Million Kosovo-Albaner das Land. Als der Krieg 1999 endete, kamen die meisten von ihnen zurück und träumten davon, sich im neu gegründeten Staat eine Zukunft aufzubauen. Für viele ist dieser Traum heute nichts anderes als eine schmerzhafte Erinnerung.