Parität im nächsten Europäischen Parlament?
Stellen die Parteien genügend Kandidatinnen auf? Wo stehen die Frauen auf den Listen? Haben sie Chancen, gewählt zu werden? Neben den Wahlsystemen selbst sind die allgemeine Einstellung und konkrete Maßnahmen wesentlich, wenn die Parität gefördert werden soll. Wo stehen wir heute? Sehen wir uns die Zahlen an.
Parität im nächsten Europäischen Parlament?
Stellen die Parteien genügend Kandidatinnen auf? Wo stehen die Frauen auf den Listen? Haben sie Chancen, gewählt zu werden? Neben den Wahlsystemen selbst sind die allgemeine Einstellung und konkrete Maßnahmen wesentlich, wenn die Parität gefördert werden soll. Wo stehen wir heute? Sehen wir uns die Zahlen an.
Wie ist das nächste Europäische Parlament zusammengesetzt? Wie viele Frauen wird es geben und wie viele werden einflussreiche Ämter innehaben? Während des Wahlkampfs werden oft Hypothesen und Prognosen über die Wahlergebnisse aufgestellt. In den letzten Tagen veröffentlichte beispielsweise die Public Opinion Monitoring Unit des Europäischen Parlaments diese Berechnung .
Viel seltener stellt man jedoch die Frage, wie die neue Versammlung im Hinblick auf Vielfalt und Inklusion aussehen wird. Dafür interessiert man sich meistens erst, nachdem die Wahllokale geschlossen haben und die Würfel gefallen sind. Parität ist aber nicht nebensächlich. Die europäischen Institutionen selbst veröffentlichen Informationen und Überlegungen, wie das Gleichgewicht der Geschlechter im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen gefördert werden kann. Herausgegeben wurde dieser Bericht von der Abteilung für Bürgerrechte und Verfassungsfragen des Europäischen Parlaments.
In dieser Phase liegt viel in den Händen der Parteien. Entscheidend sind die Kombination von Wahlsystem und Regeln für die Darstellung der Listen sowie die Entscheidungen der Parteien. Insbesondere in den Systemen, in denen die Abgeordnete auf Sperrlisten gewählt werden. Aber selbst in „offeneren“ Systemen, in denen die Wähler einzelne Kandidaten bevorzugen können, „beeinflussen die Ernennungsstrategien der Parteien, die Auswahlverfahren, die Funktionsweisen und die Kultur sowohl das Angebot an Kandidatinnen als auch die Aufforderung zur Bewerbung erheblich“, so die Verfasser des Berichts.
Gleichstellung der Geschlechter bedeutet, dass Frauen 50 Prozent der Sitze und der wesentlichen Funktionen belegen. Auch ein Verhältnis zwischen 40 und 60 Prozent gilt dem Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (Eige ) zufolge als akzeptabel. 2014 erreichten 11 von 28 Staaten dieses Ziel bei den von ihnen ins Europäische Parlament gewählten Vertretern.
In neun Ländern der Europäischen Union gibt es Mechanismen, mit der die Präsenz von Frauen erleichtert wird. Dennoch übertrafen nur in vier Staaten die weiblichen Abgeordneten die 40 Prozent-Schwelle. In acht Ländern wurde das Ziel auch ohne spezifische Fördermaßnahmen erreicht.
Seit 2014 ist diese Quote allerdings (von 36,9 Prozent der weiblichen Abgeordneten im Jahr 2014 auf 36,2 im Jahr 2018) deutlich gesunken. Heute stehen nur noch sieben EU-Länder im Einklang mit dem Ziel von mindestens 40 Prozent.
Zu den vom Europäischen Parlament empfohlenen Maßnahmen zählen Gender-Quoten (auf jeder Liste müssen mindestens 50% Frauen stehen) und eine faire Positionierung auf der Liste (zum Beispiel Frauen und Männer abwechselnd). Angemessene Sanktionen wurden ebenfalls vorgeschlagen. Unter „angemessen“ ist die Ablehnung der Liste zu verstehen, nicht eine Geldbuße. Diese Mechanismen scheinen auf nationaler Ebene die gewünschten Ergebnisse zu erzielen.
Es gibt aber weitere Gründe, die die geringere Beteiligung von Frauen erklären können: Selbstausgrenzung, allgemeine Feindseligkeit, Sexismus und Stereotypisierung durch die Medien und vielleicht vor allem der mangelnde Wille politischer Organisationen, Frauen zu fördern. Deshalb sind viele Empfehlungen des Berichts nicht nur technisch, sondern eher „gesellschaftlich“. Zu den vom Europäischen Parlament empfohlenen Praktiken gehören beispielsweise Schulungen, Networking und Mentoring, um Bewerberinnen zu unterstützen. Der Studie zufolge sind Spanien und Polen die Länder, in denen solche Maßnahmen am meisten fehlen. Besonders schlecht aufgestellt sind Frauen in den offiziellen und inoffiziellen Netzwerken der politischen Parteien. Aus einer Studie geht hervor, dass 2015 nur 13 Prozent der Parteisekretäre in der Europäischen Union Frauen waren.
Die finanzielle Frage ist ebenfalls wesentlich. Da Frauen aus wirtschaftlicher Sicht im Vergleich zu Männern tendenziell benachteiligt sind, haben sie häufig auch weniger Ressourcen für Wahlkampagnen.
„Gleiche Präsenz bedeutet nicht gleiche Macht“, heißt es im Bericht des Europäischen Parlaments. Was passiert auf den höheren Sprossen der Leiter? Wie erfolgen die Ernennungen im Parlament selbst. Wer erhält die verantwortungsvollsten Ämter?
„Wenn Frauen erst einmal gewählt sind, sehen sie sich einer politischen Machtdynamik gegenüber, die in hohem Maße mit dem Geschlecht zusammenhängt“, so die Studie. Eine gerechte Vertretung von Männern und Frauen sei eine notwendige, aber keine ausreichende Voraussetzung für eine wirklich paritätische Politik.
Tatsächlich haben nur zwei Fraktionen – die Grünen und die Linke (Grüne / EFA und GUE / NGL ) – eine Präsidentin oder eine Co-Präsidentin unter insgesamt 11 Posten dieser Art. Im Präsidium werden gerade mal 7 von 20 Aufgaben an Frauen vergeben. Auf der Ebene der Vizepräsidentschaft gibt es 5 Frauen und 9 Männer und 2 Quästorinnen gegenüber 3 Quästoren. In parlamentarischen Ausschüssen unter dem Vorsitz von Frauen ist das Verhältnis günstiger. Diese offizielle Zahlen stammen aus dem Bericht „Frauen im Europäischen Parlament “.
Auch wenn wir uns andere europäische Institutionen anschauen, verbessert sich die Lage nicht: Von den insgesamt 246 von den Autoren der Studie gezählten Spitzenpositionen waren nur 57 (23,2 Prozent) von Frauen besetzt. „Besonders auffällig sind die wenigen Generaldirektorinnen, Abteilungsleiterinnen oder gleichwertigen Positionen in den 53 Generaldirektionen der Europäischen Kommission: Auf sie entfallen nur 26 Prozent“, klagen die Verfasser. In den Finanzinstitutionen wird der Parität eindeutig am wenigsten Bedeutung geschenkt: Im Direktorium der Europäischen Zentralbank sitzen 8% Frauen und im Verwaltungsrat der Europäischen Investitionsbank sind es 14%.